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DAS MÄRCHEN VON DER HERZKÖNIGIN

„Königin der Herzen“, das ist der Ausdruck, der zum beliebtesten Etikett für Prinzessin Diana wurde. Und tatsächlich: Exakt diese Formulierung ist der Schlüssel für das Phänomen der Princess of Wales, die bis zu ihrem Tod am 31. August 1997 die Sehnsüchte und Fantasien einer ganzen Nation, wenn nicht der ganzen Welt, befeuerte. Doch es sind nicht die drei Worte allein, mit denen sich die Bedeutung dieses Titels verstehen lässt. Man muss sich auch die genauen Umstände ansehen, unter denen er geprägt wurde. Sie entstammen aus dem mittlerweile berüchtigten Interview mit dem BBC-Journalisten Martin Bashir, der Diana im November 1995 mit manipulativen Methoden höchst persönliche Statements entlockte. Zwischendrin stellte er mit einem inquisitorischen Unterton eine Frage, die sich angesichts der damals längst vollzogenen Trennung von Prince Charles eigentlich nur als zynisch verstehen liess: „Glauben Sie, Sie werden jemals Königin werden?“

Die Reaktion der damals 34-jährigen ist in mehrfacher Hinsicht bezeichnend. Zuerst tritt ein verlegenes Lächeln in ihr Gesicht, gefolgt von einem schüchternen Kopfschütteln: „Nein, das glaube ich nicht.“ Stattdessen setzt sie ihr ein anderes Narrativ entgegen: „Ich möchte die Königin der Herzen sein, im Herzen der Menschen.“ Ihre Stimme klingt immer noch wie dahingehaucht, der Blick ist verletzlich, ein wenig traurig sogar. Diana Spencer zeigte sich als feinfühlige Ikone, die zum Opfer des Establishments wurde und aus dieser Rolle gleichzeitig die Kraft schöpfte, um sich dagegen aufzulehnen.

Es gibt unzählige Versuche, eben diesen Charakter der Diana Spencer zu erklären, doch eigentlich reicht ein Blick auf ihre Biografie, um zu verstehen, wie aus einem schüchternen Teenager eine derart prägende Person der Zeitgeschichte werden konnte. Die Verletzlichkeit scheint schon in frühen Jahren angelegt: Die Eltern hatten nach zwei Töchtern auf einen Stammhalter gehofft. Ein 1960 geborener Junge war kurz nach der Geburt verstorben. Als am 1. Juli 1961 mit Diana wieder ein Mädchen zur Welt kam, dauerte es eine Woche, bis man sich für ihren Namen entschied. Das zerrüttete Verhältnis der Eltern führte zu permanenten Streitigkeiten, bis die Mutter die Familie 1967 verliess. Das Sorgerecht wurde dem Vater zugesprochen. Dessen zweite Frau erlebte Diana als „Tyrannin“ und versuchte sie angeblich einmal die Treppe hinunterzustossen. Mit Dianas Worten: „eine sehr unglückliche, instabile Kindheit“.

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Das scheint sich auch in ihrem ziellosen Leben widerzuspiegeln, nachdem sie 1978 ohne Abschluss von der Schule abgegangen war: Sie besuchte Kochkurse, war Tanzlehrerin, Kindergärtnerin, Party-Hostess. Wer weiss, welchen Weg sie genommen hätte, wäre nicht ein gewisser Prince Charles – der zuerst ihre ältere Schwester gedatet hatte – auf sie aufmerksam geworden. Und irgendwie schien er für sie der Prince Charming, der sie aus ihrem Aschenputtel-Dasein erlöste. Über ihre eigene Naivität sollte sie sich später selbst mokieren. Doch bekanntermassen ging Diana nicht unter, allen psychischen Krisen und Anfällen von Bulimie und Selbstverletzung zum Trotz. Ein Jahr nach der Hochzeit findet sie einen ersten Anker: Sohn William, geboren 1982, gefolgt von Harry 1984. „Meine Mutter hat mich und meinen Bruder mit Liebe erdrückt,“ konstatiert der Ältere. Dass sie in der Öffentlichkeit ihre Mutterrolle zelebrierte, formte das Image der mitfühlenden Herzprinzessin. Statt Etikette verkörperte sie Emotionalität.

Mit dieser Offenheit wandte sich Diana den Menschen zu, die die Verwerfungen des Lebens auf andere, noch gnadenlosere Weise kennengelernt hatten. Dass gekrönte Häupter ihre Privilegien auch damit rechtfertigen, dass sie sich wohltätigen Zwecken widmen, ist nicht neu. Aber bei Diana erreichte das eine besondere Qualität. Nicht zuletzt, weil sich hier eine im Innersten verwundete und empfindliche Person, die sich ihrem royalen Umfeld zumindest zum Teil als Aussenseiterin erlebte, anderen Menschen stellte, die in ihrer Welt mit anderem Leiden konfrontiert waren. Sie war aber auch ein „material girl in a material world,“ deren Regeln sie immer besser beherrschte. Sie entwickelte ihren persönlichen, legeren Dresscode für Besuche in wohltätigen Einrichtungen und sie wurde zu einer Stilikone. Doch ihre Nähe zur populären Kultur war ein zweischneidiges Phänomen. Sie brauchte die Medien, und die Medien brauchten sie.

SPENCER erreicht die emotionale Extravganz eines erstklassigen Melodramas und verweigert sich doch dessen Konventionen. Der Film ist zugleich eine historische Fantasie, ein klaustrophobischer Thriller und eine schwarze Sittenkomödie.

LA TIMES

Sie bestieg den Thron der Königin der Herzen, aber unter denjenigen, die sie daraufsetzen, waren auch die Verschwörer, die sie zu Fall bringen sollten. Diese Verstrickungen verdichteten sich in den Tagen vor ihrem Tod: Am 17. Juli 1997 hatte Prince Charles eine üppige Geburtstagsparty für seine Freundin Camilla Parker Bowles veranstaltet. Rund zwei Wochen später zeigte sich Diana ohne Scheu vor den Fotografen mit ihrem neuen Boyfriend, dem Unternehmer Dodi Al-Fayed in St. Tropez und sorgte Tage lang für titelseitenträchtige Aufnahmen. Am Abend des 30. August, in Paris, lieferte sich Dianas Chauffeur eine Verfolgungsjagd mit den Paparazzi – im Seine-Tunnel prallte das Auto gegen einen Betonpfeiler. Das Ende ist bekannt.

Rund eine Million Menschen drängten sich in den Strassen Londons, um ihr das letzte Geleit zu erweisen. 2,5 Milliarden sollen das Begräbnis weltweit am Fernsehschirm verfolgt haben – rund dreimal so viel wie bei ihrer Hochzeit. Und auch ihre Familie bewies Sinn für mythologische Symbolik: So wie ein König Artus auf die Insel Avalon entrückt wurde, so liegt Diana auf einer kleinen Insel in einem künstlichen See auf dem Familiengrundstück begraben. Auf diese Weise bekam ihre Biografie eine Symbolkraft, die kaum abgeklungen ist. Anlässlich des ersten Todestages schrieb der britische Journalist Andrew Marr Zeilen, die streng genommen auch aus dem Jahr 2021 stammen könnten: „Mit Dianas Tod starrte England auf sein Spiegelbild und vermochte sich selbst nicht wiederzukennen. Denn sein Gesichtsausdruck war nicht mehr schweigsam verschlossen und verkrampft. Seine Hautfarbe war nicht mehr weiss. Diana war die Königin eines anderen Landes – multikulturell, liberal und emotional offen.“