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REGISSEUR BRYAN FOGEL ÜBER DIE ENTSTEHUNG VON THE DISSIDENT

REGISSEUR BRYAN FOGEL HAT EINEN HANG ZU SPERRIGEN THEMEN. SEIN DOKUMENTARFILM „IKARUS“ (2017), ÜBER DOPING IM SPORT, WURDE MIT DEM OSCAR® AUSGEZEICHNET. NUN GELINGT IHM MIT „THE DISSIDENT“ EIN AUSSAGEKRÄFTIGES PORTRÄT ÜBER DEN MORD AN DEM SAUDI-ARABISCHEN JOURNALISTEN JAMAL KHASHOGGI. FOGEL SPRICHT U.A. MIT DEM DISSIDENTEN OMAR ABDULAZIZ UND VERSUCHT AUF SEHR EINDRINGLICHE WEISE, DIE WAHRHEIT UND DIE AUSWIRKUNGEN RUND UM DIE ERMORDUNG KHASHOGGIS ANS LICHT ZU BRINGEN. „THE DISSIDENT“ IST EIN UNBÄNDIGES UND MORALISCHES PLÄDOYER FÜR MENSCHENRECHTE UND MENSCHENWÜRDE.

Was hat Sie dazu bewegt, THE DISSIDENT zu drehen?

Als der Mord an Jamal Khashoggi ans Licht kam – also zwischen dem 2. Oktober, als er das saudische Konsulat betrat und dem 20. Oktober 2018, als Saudi-Arabien schließlich die Tötung einräumte – verfolgte ich die Berichterstattung sehr aufmerksam. Eine Schlagzeile, die mir im Gedächtnis blieb, war diese: „Wer war dieser Mann?“. Khashoggi war ja sehr bekannt in seinen Kreisen im Nahen Osten, aber wir im Westen wussten gar nicht, wer Khashoggi war oder wofür er stand. In den ersten Berichten wurde lediglich betont, dass er ein Journalist der Washington Post war.

Als wir dann schließlich herauszufinden versuchten, wieso er verschwand und wieso das von Bedeutung war, stürzten sich die Medien regelrecht auf ihn. Es hieß, dass Khashoggi der Muslimbruderschaft angehört habe, dass er Verbindungen zu Terroristen hatte und mit Al-Quaida sympathisierte. Ich recherchierte weiter und erkannte schnell, dass diese Behauptungen nicht der Wahrheit entsprachen.

Die Story erfüllte alle für einen Filmemacher wichtigen Voraussetzungen: Sie hatte globale Auswirkungen und es gab eben diese noch unbekannten Hintergründe. Einige Wochen nach Khashoggis Verschwinden wurde ich aufmerksam auf die packende Geschichte von Omar Abdulaziz, einem saudischen Studenten und Dissidenten im kanadischen Exil, mit dem Khashoggi zusammengearbeitet hatte. Also reiste ich nach Kanada, um seine Sicht der Dinge zu hören. Dabei erfuhr ich von den noch verborgenen Hintergründen des Mordes, die mit Omar zu tun hatten.

Hatten Sie schon eine klare Vorstellung von dem Film, den Sie drehen wollten?

Ich wusste von Anfang an, dass es ein Film über Wahrheit sein würde. Denn jenseits der anfänglichen Verwirrungen und Unklarheiten, der widersprüchlichen Darstellungen und unverblümten Lügen gab es eine Wahrheit, die ans Licht gebracht werden wollte. Mein Ausgangspunkt war also dieser: Wer war Khashoggi, was war mit ihm passiert und warum? Seine Geschichte ist so etwas wie eine Schnittstelle sehr vieler Akteure und Handlungslinien. Überwachung, Hacking, Internetsicherheit, das Spannungsfeld zwischen Geschäftsinteressen und ethischen Gesichtspunkten, Falschinformationen. Diese abstrakten politischen Probleme sind absolut real, sie wohnen Khashoggis Geschichte inne und sie bestimmten sowohl sein Leben als auch seinen Tod.

Auf der praktischen Ebene hatte die Geschichte alles, was einen Thriller ausmacht. Doch um den Film nach meinen Vorstellungen drehen zu können, gab es noch drei oder vier Hürden zu überwinden. Zum einen war da Khashoggis Verlobte Hatice Cengiz, die vor dem Konsulat auf Khashoggi gewartet hatte, während er die Heiratspapiere besorgen wollte. Sie ist der emotionale Kern der Geschichte. Würde Hatice mit mir zusammenarbeiten und mir einen exklusiven Einblick in die Geschehnisse geben? Genauso wichtig war Omar. Ich wusste, wenn seine Geschichte erst einmal ans Licht kommen würde, wären ihm alle Nachrichtenagenturen der Welt auf den Fersen. Ich wusste, dass seine Geschichte einfach unglaublich war und dass sie die wahren Hintergründe zum Mord an Khashoggi erklärte. Die dritte Hürde war die türkische Regierung. Würde man dort mit mir exklusiv zusammenarbeiten? Und dann war da noch die Washington Post. Ich habe drei Monate lang nur Verbindungen dorthin aufgebaut.

Im Verlauf von THE DISSIDENT wird eine schockierende Nachricht nach der anderen enthüllt. Was war das Erschreckendste für Sie, als Sie den Film gedreht haben?

Trotz einer überwältigenden Menge an Beweisen war keine einzige Nation bereit, sich gegen diese absolute Monarchie zu stellen, nur damit die Geldflüsse nicht versiegen. Wen kümmern da schon die Menschrechte oder eine kaltblütige Ermordung? Da ist einfach zu viel Geld im Spiel, und dieses untergräbt offenbar jeden Anstand. Agnès Callamard, die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen, hat eine Untersuchung durchgeführt, die gezeigt hat, dass der Mord an Khashoggi ein ganz klarer Fall ist. Auch aus dem Bericht der CIA geht das hervor. Die Türkei hat den Regierungen von Frankreich, England und Amerika erschreckende Tonaufnahmen von der Ermordung zukommen lassen, und trotzdem haben die Vereinten Nationen nichts unternommen, genauso wenig wie die USA oder Europa. Am Ende siegen der Reichtum und das Öl der saudischen Monarchie über jegliche Gerechtigkeit und jede moralische Autorität, und das ist wahrscheinlich die erschütterndste Erkenntnis dabei. Wir hoffen, dass dieser Film dem Allgemeinwohl dienen wird, indem er diese schrecklichen Tatsachen beleuchtet, damit wir sie ändern können.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich für Ihren Film?

Sicher ist es unrealistisch, zu glauben, dass der Film einen politischen Kurswechsel in Großbritannien, Frankreich oder den USA einleiten wird oder deshalb lukrative Waffengeschäfte mit den Saudis eingestellt werden. Es ist eine idealistische und unwahrscheinliche Vorstellung, dass ein Film zur Regulierung von Cyber-Überwachung führt, dass jeder Vertrag genau unter die Lupe genommen wird oder dass Israel Unternehmen wie NSO, die sich nicht an die Regeln halten, dichtmachen wird.

Doch eines hat Khashoggi uns in jedem Fall gezeigt: dass Einzelpersonen Macht haben und den korrupten Mächten der Welt sogar gefährlich werden können. Für das autoritäre Regime Saudi-Arabiens war Jamal Khashoggi ein gefährlicher Mann. Er wollte nicht, dass die vielen Anwälte und Aktivisten in den saudischen Gefängnissen in Vergessenheit geraten, genauso wenig wie die Zensur und Unterdrückung oder die Grausamkeiten Mohammed bin Salmans. Indem er die Wahrheit ans Licht brachte, wurde er zu einer Bedrohung, denn die Wahrheit ist mächtig.

Mit diesem Film offenbaren wir der Welt die Wahrheit. Ein Film kann so viele Menschen erreichen, weit mehr als ein U.N.-Report oder ein vertraulicher Regierungsbericht. Ich hoffe, die Menschen fühlen sich beim Zuschauen in der Verantwortung, selbst aktiv zu werden, genau wie Khashoggi. Vielleicht können informierte Bürger ihre demokratischen Regierungen besser dazu bewegen, den Menschenrechten absolute Priorität einzuräumen. Letztendlich müssen sich gewählte Politiker vor ihrer Wählerschaft verantworten und erfolgreiche Kampagnen können einen politischen Wandel einleiten.