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Wim Wenders über Anselm Kiefer

Die Berliner Autorin Bettina Krause schreibt über Kunst, Design, Architektur und Reisen. Nach dem Interview mit Wim Wenders über „ANSELM – Das Rauschen der Zeit“ hat sie nur noch einen Wunsch: Anselm Kiefers Ateliers in Südfrankreich mit eigenen Augen zu sehen. Das Interview erschien in der aktuellen Ausgabe der ARCHITECTURAL DIGEST mit Erscheinungstermin am 20. September 2023

Quelle: ARCHITECTURAL DIGEST, Text: Bettina Krause

„Ich war überwältigt von der Grösse der Aufgabe und davon, dem gerecht zu werden, was der Mann geschaffen hatte. Das schien mir eine grosse Last.“

—Wim Wenders

Poetisch, leise, tiefgründig – mit ANSELM gewährt Wim Wenders seltene Einblicke in den künstlerischen Kosmos von Anselm Kiefer und offenbart zugleich seine tiefe Faszination für den Grosskünstler. Wir sprachen mit ihm über die Genese des Films.

Herr Wenders, Sie kennen Anselm Kiefer seit 1991. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung?

Wim Wenders: Ich sass, wie eigentlich fast jeden Abend damals, im „Exil“ in Kreuzberg zum Abendessen, als er zur Tür reinkam – offenbar zum ersten Mal, denn er schaute sich um. Das „Exil“ war ziemlich verqualmt, deswegen fiel seine Zigarre nicht weiter auf. Aber als er näher kam, merkte ich, dass er nach Zigarren roch, der Mann war ein wandelnder Zigarrenqualm. Er erkannte mich, setzte sich zu mir, und ich wusste natürlich auch, wer er war. Wir assen gemeinsam, verstanden uns gut und verabredeten, uns am nächsten Tag wieder zu sehen. So lernten wir uns kennen. Er wusste von mir, dass ich eigentlich Maler werden wollte, aber Filme machte. Und er war Maler, wollte aber eigentlich auch Filme machen.

Entstand schon damals die Idee, eines Tages gemeinsam einen Film zu machen?

Wir sagten uns, dass wir mal ein Projekt zusammen machen sollten. Aber ich war dann für eine Weile in Amerika, und er zog bald darauf nach Südfrankreich – möglicherweise als Reaktion auf die Verrisse zu seiner Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie. Zuvor war er in Amerika als bedeutendster lebender Maler gefeiert worden, zeigte auch in Berlin seine besten Sachen und wurde hier verrissen. Das hat ihn ziemlich erschüttert, ich habe ihn an dem Tag gesehen. Er schüttelte den Kopf und verstand die Welt nicht mehr.

Wie kam es schliesslich, Jahrzehnte später, zu Ihrem Film?

2019 lud mich Anselm zu sich nach Barjac ein. Was er da in der Zwischenzeit aufgebaut hatte, war der Wahnsinn: 30 Pavillons, unterirdische Gänge, eine Krypta, ein Amphitheater, windschiefe „Hochhäuser“ – das alles war enorm. Beim Abendessen sagte ich zu ihm: „Ich kann mir vorstellen, warum du mich eingeladen hast, und ich denke: It’s now or never.“ Das hat ihn gefreut. Er hatte nämlich Sorge, dass er im Alter alles vergessen würde, wenn wir noch länger warten. Also habe ich 2020 zum ersten Mal dort gedreht.

Und Sie wussten vorher nicht, was genau Sie drehen würden?

Wir sassen erst einmal eine Woche zusammen und haben nur gequatscht, ohne Kamera. Ich fing an, ihn tausend Dinge zu fragen: zu seiner Kindheit, seinen Skulpturen, Aquarellen und Bildern, zu seinen Werkprozessen, seinem Verhältnis zur Sprache, Philosophie, Religion, Alchemie, Astronomie – also zu allem, was im Film vorkommen könnte. So entstanden 1200 Seiten Text, das war meine Bibel. Er sagte mir, er wolle vorher nichts wissen über den Film, nur eines wollte er: dass ihn der Film überrascht. Und daran habe ich mich gehalten. In den nächsten zwei Jahren drehten wir insgesamt sieben Mal in Barjac, in seinem Atelier in Paris, in der Nähe von Rastatt, wo er aufwuchs, im Odenwald und 2022 in seiner Ausstellung in Venedig. Ich war überwältigt von der Grösse der Aufgabe und davon, dem gerecht zu werden, was der Mann geschaffen hat. Das schien mir eine grosse Last. Jeder Dreh dauerte rund 14 Tage, danach sass ich jeweils wochenlang mit meiner Cutterin Maxine Goedicke im Schneideraum, sichtete und schnitt, was wir gedreht hatten. Ich sah dann klarer, was ich als Nächstes drehen sollte, und so wuchs alles allmählich in meinem Kopf zusammen. Am Ende waren alle Themen, über die ich mit Anselm gesprochen hatte, auch im Film.

Welche Rolle spielt zum Beispiel Kiefers Elternhaus?

Er zeigte mir sein Elternhaus in Ottersdorf, das er zurückgekauft hatte. In den 80er- und 90er Jahren war es „restauriert“, also verschandelt worden, und er liess es wieder in seinen Urzustand zurückbauen. Der Architekt sagte, er hätte einen ziemlich einmaligen Job: Statt ein altes Haus zu modernisieren, mache er aus einem modernisierten Haus wieder das alte. Heute ist das Gebäude zu schön, um wahr zu sein, und ich wollte es im Film haben. Dort am Rhein spielen die Szenen des jungen Anselm. Das hat mich fasziniert, weil ich auch am Rhein aufgewachsen bin, einige hundert Kilometer weiter nördlich in Düsseldorf. Es war derselbe Fluss, vor dem wir beide im selben Alter oft standen. Der Rhein war meine Jugend, ich war dort jeden Tag, es gab ja keine Spielplätze, nur Trümmerspielplätze, wo man nicht hindurfte, aber natürlich trotzdem hinging. Und der Rhein war damals grossartig, sein Geruch … Die Rheinbrücken lagen im Wasser, und das andere Ufer war wie die andere Seite des Mondes – dort kam man ja nicht hin. Genauso ging es Anselm, auch bei ihm war die Brücke zerstört und Frankreich unerreichbar. Es war derselbe Fluss – da wollte ich unbedingt drehen, also musste auch der junge Anselm vorkommen.

Zeit spielt in Ihrem Film überhaupt eine wichtige Rolle – wie auch in der Kunst von Anselm Kiefer.

Man denkt, Malerei sei im Gegensatz zum Film angehaltene Zeit, ein festgehaltener Moment, aber das stimmt nicht. Anselm hat von Anfang an versucht, dem entgegenzuwirken, und hat alles getan, damit Zeit in seinen Bildern erlebbar wird, dass Zeit sich widerspiegelt. Er lässt seine Bilder altern, bearbeitet sie, wie man es im Film sieht, mit Flammen, er setzt sie Wind und Wetter aus oder steckt sie in den Ofen – er setzt sie der Zeit aus, und sie wird in seinen Bildern lesbar. Im Untertitel heisst der Film deshalb auch „Das Rauschen der Zeit“.

Was war Ihre grösste Erkenntnis bei der Arbeit an dem Film?

Es war ein gewaltiger Lernprozess, weil es für einen solchen Film keinerlei Modell gab, wir mussten bei null anfangen, die Sprache für diesen Film neu denken. Man hätte ihn auf tausend Arten anfangen und auf tausend Arten erzählen können. Wir hatten auch keine Erfahrungswerte zur Struktur der verschiedenen Lebenszeiten oder wie man der Malerei mit 3D-Technik begegnet. Es sollte ja nicht so sein, als blätterte man in einem Katalog. Man sollte wirklich das Erlebnis haben, das ich vor Ort in seinem Atelier oder in seiner Ausstellung im Palazzo Ducale in Venedig hatte – gerade Letzteres war ein Gänsehaut-Moment. Es ging darum, als Film da hineinzukommen, die Leute in diese Präsenz hineinzubringen, ohne etwas erklären zu müssen. Es gefällt mir, dass der Film ein so offenes System geblieben ist, dass er genug Platz für unterschiedliche Assoziationen bietet. Das liegt auch an der Fülle der Seh-Erlebnisse, weil es tatsächlich so ist, dass man in 3D mehr sieht. Dieses „mehr sehen“ ist das A und O des Films. Da wir den Film auch in 3D schneiden konnten, hatten wir die Ergebnisse direkt live auf der Leinwand, und so waren wir immer mittendrin in der Welt von Anselm. Das hat uns enorm geholfen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren zu drehen und fast zweieinhalb Jahre lang schneiden zu können hat es möglich gemacht, die anfängliche „Last“ zu vergessen.

Konnten Sie denn am Ende Kiefers Wunsch erfüllen, ihn mit dem Film zu überraschen?

Als er ihn zum ersten Mal gesehen hat, war er ziemlich angerührt und tatsächlich erst einmal sprachlos. Das habe ich als gutes Zeichen gedeutet.

Letzte Frage: Es fällt auf, dass Anselm Kiefer im Film sehr viel pfeift – haben Sie diese Szenen bewusst gewählt?

Er pfeift ständig, wenn er alleine ist, und ich fand es ein schönes Kompliment an uns, dass er das auch im Film oft macht. Wenn man ihn im Studio besucht und leise zur Tür reinkommt, hört man ihn oft pfeifen. Er pfeift gerne und viel. Und falsch (lacht).

Foto: Anselm und Wim © 2023, Road Movies, photograph by Ruben Wallach