Im Jahr 2014 wurden Mills und seine Ehefrau Miranda July Eltern eines Sohnes. Dieser neue Lebensabschnitt wurde für ihn zu einer zunächst verwirrenden, dann immer aufschlussreicheren Erfahrung der Veränderung. Nicht unähnlich dem, was Johnny in COME ON, COME ON erlebt, wenn auch nicht ganz so sehr aus heiterem Himmel. Mills wusste, dass er sich damit auseinandersetzen wollte, was da passierte. Aber auf seine ihm ganz eigene Art und Weise wurde sein Drehbuch schließlich zu einer Art filmischer Autofiktion: eine ehrliche, höchst subjektive Auseinandersetzung mit sich selbst, die in einer imaginären Familie stattfindet und sich aus unzähligen Einflüssen aus seinem Umfeld speist – aus Filmen, Musik, Büchern und Menschen, die ihn inspirieren, sowie aus den Rhythmen und Strukturen der Kultur, in der wir alle gerade leben.
„Mit COME ON, COME ON wollte ich mit gegensätzlichen Maßstäben spielen“, sagt Mills. „Einerseits geht es um die kleinsten Momente: ein Kind zu baden, das Gespräch vor dem Schlafengehen. Auf der anderen Seite reisen wir in große Städte und hören jungen Menschen zu, die laut über ihre Zukunft und die Zukunft der Welt nachdenken. Unsere kleine, intime Geschichte spielt sich also im Kontext einer viel Größeren ab. Dieses Spektrum spüre ich oft auch bei meinem Kind. Unsere gemeinsame Zeit ist intim und privat, und doch geht es um die großen Themen des Lebens.“
Mills ist fasziniert von den tiefgreifenden Verbindungen zwischen den kleinen, individuellen Lebensräumen, in denen wir alle leben, und der großen Welt, die wir gemeinsam bevölkern. Das Schreiben über die persönlichsten Ängste und intimsten Triumphe der Elternschaft verknüpfte sich für ihn mit der Dokumentation der enormen Komplexität des Lebens junger Menschen im Amerika des frühen 21. Jahrhunderts, wo Kinder die Gefahren unserer Zeit von überforderten Erwachsenen erben.
Das Roadmovie erschien ihm als ideale Struktur für diese thematische Mischung. Dabei musste er nicht zuletzt an einen Film denken, den er besonders liebt: Wim Wenders‘ ALICE IN DEN STÄDTEN, die Geschichte eines deutschen Journalisten, der mit einem jungen Mädchen durch die USA reist, nachdem dessen Mutter nicht auftaucht. „Schon früh dachte ich an COME ON, COME ON als eine Art Hommage an ALICE IN DEN STÄDTEN“, sagt Mills, „denn wie Wenders wollte ich eine Kinderfigur zeigen, die ein Wesen mit Willenskraft, Sorgen, Wünschen und Ängsten ist, die die gleiche Berechtigung haben wie die Gefühle eines Erwachsenen.“
Doch die Geschichte nahm schon bald eine eigene Richtung an. Mills schuf die Hauptfigur Johnny als zeitgenössischen Radiojournalisten – ein Mann, der sich zur Kunst des Zuhörens hingezogen fühlt, aber vielleicht ein bisschen aus der Zeit gefallen ist. Johnnys Beruf basiert auf eigenen Erfahrungen von Mills, der 2014 für das MoMA den Dokumentarfilm „A Mind Forever Voyaging Through Strange Seas Alone“ drehte, in dem sich Kinder aus dem Silicon Valley vorstellen, wie die Zukunft technologisch, ökologisch und persönlich aussehen könnte. Johnny arbeitet an einer ähnlichen Radioserie und reist in unterschiedliche Städte, um mit Kindern über ihre Freuden, Ängste und Hoffnungen zu sprechen.
Ein genaues Abbild von Mills ist Johnny natürlich nicht. Der schottet sich ab und ist zum Teil sogar absichtlich allein, entfremdet von seiner Schwester und getrennt von seiner langjährigen Freundin. Davon, wie sehr die Betreuung von Jesse sein Leben auf den Kopf stellen wird, ahnt er nichts. Doch Mills zeigt auf, wie befreiend und heilsam es für Johnny ist, sich um dieses Kind zu kümmern, weil es ihm Dinge offenbart, die er an sich selbst nie wahrgenommen hat.
Mills entschied sich dafür, einen Onkel in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen, weil dies eine Möglichkeit bot, eine nichtsahnende Figur buchstäblich über Nacht in die volle Intensität der Elternschaft zu stürzen. „Johnny muss alles lernen, was jeder lernen muss, der ein Kind bekommt. Nur eben sehr, sehr schnell“, erklärt der Regisseur. „Als Vater habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich ständig wie ein Anfänger fühlt, der versucht, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Diese Verwirrung, diese andauernde Ungewissheit, was einen erwartet, wollte ich auf der Leinwand einfangen. Um das zu erleben, muss man kein biologischer Elternteil sein. Man kann auch ein Onkel, eine Tante, ein Lehrer oder eine Betreuerin sein.“
Mills wollte unbedingt die Nähe eines Kindes zu einem Erwachsenen mit allen Schwierigkeiten, unterschiedlichen Beweggründen und Verwunderungen darstellen, die es in jeder wichtigen Beziehung gibt – auf beiden Seiten. „Es gibt ein interessantes Hin und Her, das man mit einem Kind hat und über das wir selten sprechen“, findet er. „Das kann manchmal eine spielerische Leichtigkeit haben, aber genauso gut eine Tiefenwirkung wie bei einer Beziehung zwischen Erwachsenen.“
Ein ständiges Thema in Mills‘ Werk ist die Erinnerung; die Dinge, die uns bleiben, die Dinge, die wir vermissen, und die tiefe Angst, dass sich die schwer fassbaren Momente des Glücks nie wirklich festhalten lassen. In COME ON, COME ON hat Johnny das dringende Gefühl, dass er das, was zwischen ihm und Jesse passiert, irgendwie einfangen muss. Und sei es auch nur über ihre Stimmen.
„Was als Versuch begann, mein Leben mit meinem Kind gedanklich auszuloten und zu dokumentieren, wurde auch zu einem Porträt der Beziehung, die sich zwischen Joaquin und Woody entwickelte“, berichtet Mills. „Darauf wollte ich mich komplett einlassen und das mit der Kamera einfangen. Denn genau das ist es, was mich als Filmemacher am meisten begeistert: wenn sich die Dinge so lebendig, unvorhersehbar und überraschend anfühlen.“