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REGISSEUR DANIEL ROHER ÜBER NAWALNY

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Wie kam es zu der Entwicklung des Films?

Ich darf mich sehr glücklich schätzen, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Von da ausgehend bedurfte es enormer Anstrengungen und eines ausserordentlichen Teams, um einen Film zu machen, der hoffentlich etwas von Alexeis Geist und der Bedeutung einfängt, die sein Kampf für uns hat.

Anfang 2020 kam Karl von Habsburg auf mich zu und meinte er zu mir: „Kennst du diesen Alexei Nawalny? Ich habe vielleicht einen Hinweis auf die Leute, die ihn vergiften wollten.“ Sobald er diese Worte gesagt hatte, wusste ich, wie ich mein nächstes Jahr verbringen würde. Er stellte mir seinen engen Freund und Mitstreiter, den renommierten bulgarischen Journalisten Christo Grozev vor, dessen Spezialgebiet u.a. die Aufklärung russischer Vergiftungsfälle ist. Ein paar Wochen später waren wir unterwegs in den Schwarzwald, wo ich Alexei traf.

Wir präsentierten ihm unsere Pläne für die Dokumentation und er verstand sofort: Wenn unsere Geschichte den Verlauf dieses Kriminalfalls nachzeichnen sollte, dann mussten wir sofort beginnen. In den nächsten dreieinhalb Monaten entwickelte sich dieser Film zum intimen Porträt eines Menschen, seiner Familie, seiner Mitstreiter und über die Opfer, die sie für ihre Überzeugungen zu bringen bereit sind – für Werte wie Redefreiheit, Demokratie und Menschenrechte und für das Leben in einem Land, das nicht von Korruption gesteuert wird. Die ganzen Dreharbeiten fanden im Geheimen statt und erst gegen Ende Dezember 2020, bevor Alexei nach Russland zurückkehrte, konnten wir wieder offen agieren und eine Strategie entwickeln.

Der Film ist geprägt von dem Ringen zwischen einem Meister der Medien und mir als Regisseur einer unabhängigen Produktion. Ich wusste, dass dieser Film alle Zutaten eines Thrillers hatte, aber auch, dass ich einen wichtigen historischen Moment einfing. NAWALNY verknüpft intime Interviews, Archivmaterial, iPhone-Aufnahmen, soziale Medien, russische Propaganda und dramatische Kameraeinstellungen. Stilistisch gesehen stellen wir das traditionelle Verhältnis zwischen dem Regisseur und dem von ihm befragten Subjekt infrage. Stattdessen schaffen wir einen Film, in dem sowohl der Regisseur wie seine Gesprächspartner und das Publikum zu aktiven Beteiligten werden.

Welches Bild hatten Sie während der Dreharbeiten von Nawalny?

Er hat diese Energie, die man oft begabten Politikern zuschreibt. Nawalny lässt dich so fühlen, als wärst du die wichtigste Person im Raum. Ich habe spontan gedacht „Dieser Mann könnte Präsident sein.“ Abgesehen davon ist er sehr lustig aber er konnte auch mal aufbrausend sein und gegenüber seinen Mitarbeitern war er hart. Sein grosses Genie zeigt sich im Umgang mit den Medien – in der Art und Weise wie er den Nachrichtenkreislauf in seinem Sinne beeinflusst und das Internet für seine Ziele nutzt. Für mich ist er das Gewissen der russischen Opposition. Er ist ihr Anführer, auch vom Gefängnis aus und man kann ihn als moralisches Zentrum der Opposition bezeichnen. Er sagt, als er Putin zum ersten Mal bei öffentlichen Auftritten sah, hatte er das vertraute Gefühl, als würde er jemandem ins Auge schauen und wissen, dass diese Person lügt. Das brachte ihn dazu, aktiv zu werden.

Obwohl ich nicht alles billige, was er getan hat, verstehe ich doch sein politisches Kalkül, denn er brauchte eine breite Koalition, um Putin zu stürzen. Alexei sagt in dem Film: „Wenn ich Putin bekämpfen und der politische Führer eines Landes sein will, kann ich einen Riesenteil dieses Staates nicht einfach ignorieren. In einem normalen politischen System wäre ich nie und nimmer mit diesen Leuten in derselben Partei. Aber wir schaffen ein breites Bündnis, um das Regime zu bekämpfen und damit eine Situation herzustellen, wo jeder an den Wahlen teilnehmen kann.“

Was war für Sie der verblüffendste Moment des Films?

Als sich Alexei entschloss, die Männer des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB anzurufen, die den Auftrag hatten, ihn zu ermorden. Die Nacht davor fragte ich Christo, was er sich von diesem Anruf erwartete, und er meinte: „Das mag ja eine hübsche Filmszene ergeben, aber niemand wird etwas verraten. Das sind alles Spione. Die sagen nichts am Telefon, dafür haben sie ihre Vorschriften.”

Als es dann so weit war, hängte jeder der Angerufenen auf, so wie wir das erwartet hatten. Ich spreche kein Wort Russisch, aber als Alexei den Chemiker Konstantin Kudryavtsev anrief, verstand ich auch so, was vor sich ging. Er unterhielt sich mit dem Mann 45, 50 Minuten, und der verriet ihm die ganze Geschichte. Das war der aussergewöhnlichste Teil der Dreharbeiten.

Eine Einstellung, die mir auch viel bedeutet, zeigt ihn, wenn er durch den Schnee läuft. Das ist eine starke visuelle Metapher für einen Mann, der seine Entscheidung getroffen hat, der seinen Pfad fest entschlossen weiterverfolgen und sich von nichts abbringen lassen wird.

 

Welche Erkenntnisse sollen die Zuschauer aus diesem Film gewinnen?

Ich möchte das Publikum daran erinnern, dass die Bösen gewinnen, wenn die Menschen nicht achtgeben und sich um nichts mehr kümmern, ob das nun um die autoritären Machthaber in Brasilien, Ungarn, der Türkei, Russland, China oder den USA geht. Alexei will uns daran erinnern, dass wir nicht inaktiv sein dürfen. Darauf sollen sich die Menschen fokussieren, wenn sie an ihn denken.

Mir war immer klar, dass wir einen Film über einen Mann drehten, der seine eigene Agenda hatte. Das ist das Metanarrativ des Films. Wir haben den Film A über diesen Menschen und seine Familie, über die Ermittlungen zu dem Attentat und über seine Rückkehr in sein Heimatland. Film B wiederum dreht sich um einen Regisseur, der sich um Objektivität bemüht, während er einen Film über einen Politiker macht. Ich denke, wir zeigen Nawalny als Politiker, den wir trotz seiner Fehler unterstützen sollten, denn seine Mission ist von immenser Wichtigkeit. Das ist unsere moralische Verpflichtung. Sein Mut soll die ganze Welt inspirieren.